
Marknägel werden zu intelligenten Implantaten
An der Universität und am Universitätsklinikum des Saarlandes entwickeln Wissenschaftler robotische Implantate, die bei Knochenbrüchen im Körper die Heilung überwachen und fördern. Nun miniaturisiert das Team im Rahmen eines EU-Projekts die Technik, damit sie auch in Marknägeln eingesetzt werden kann.
Bei einem Röhrenknochenbruch ist es möglich, diesen mittels Marknagel oder Implantatplatte zu versorgen. Der Marknagel stabilisiert den Knochen von innen, damit dieser heilen kann. Dafür ist keine Operation notwendig, es genügt ein kleiner Schnitt am Ende des Knochens. „Das Gewebe und die Durchblutung um die Fraktur bleiben unangetastet, was für die Heilung vorteilhaft ist. Außerdem dürfen die Patienten das Bein sofort voll belasten, sie werden schneller mobil und es gibt weniger Komplikationen“, erklärt die Expertin für Frakturheilung Bergita Ganse, Professorin für Innovative Implantatentwicklung an der Universität des Saarlandes.
Nun sollen Marknägel neue Eigenschaften erhalten. Daran arbeitet die Unfallchirurgin gemeinsam mit dem Ingenieurteam der Professoren Paul Motzki und Stefan Seelecke am Saarbrücker Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema). Die Nägel sollen permanent Messdaten vom Frakturspalt senden und damit von Beginn an sichtbar machen, ob der Knochen heilt. Bislang ist dies nur durch gelegentliche Röntgenbilder möglich. Zum anderen sollen sich die Nägel im Knochen an der Bruchstelle bewegen, genauer gesagt versteifen und wieder weich werden. Will der Patient gehen, hat er so die volle Stabilität des festen Marknagels, ruht er sich aus, kann er ihn via Smartphone-App weich stellen. Diese Phase ist Voraussetzung für eine heilsame Innovation: „Unser Ziel ist, dass der Marknagel aktiv die Heilung fördert. In der weiteren Entwicklung soll er mit einer Mikro-Massage am Frakturspalt Wachstumsanreize für neues Knochengewebe setzen“, so Bergita Ganse.
Vorbild intelligente Implantatplatten
Bei Implantatplatten ist dies bereits gelungen. Sie messen die Kräfte am Frakturspalt und verformen sich eigenständig so, dass die Belastung optimiert und die Knochenheilung verbessert wird. „Die Ergebnisse, die wir mit der Frakturplatte gewonnen haben, fließen in die neuen Implantate ein“, erklärt Paul Motzki, Professor für smarte Materialsysteme für innovative Produktion der Universität des Saarlandes und Zema-Geschäftsführer. Gefördert wird das Vorhaben über das EU-Programm Horizon Europe im Rahmen des 21 Mio. Euro-Forschungsprojekts Smile (Smart implants for life enrichment). In dem Projekt arbeiten 25 renommierte Institutionen aus zwölf europäischen Ländern daran, ältere Menschen vor Krankheiten des Bewegungsapparats zu schützen.
Patentierter Bewegungsmechanismus
Die Technologie im nur wenige Millimeter breiten Nagelinneren unterzubringen, war eine besondere Herausforderung für das Ingenieursteam. Es entwickelte einen inzwischen patentierten Bewegungsmechanismus, bei dem zwei gegeneinander arbeitende Minimotoren den Marknagel je nach Bedarf versteifen oder weich werden lassen.
Die Minimotoren sind haarfeine Drahtbündel aus der Formgedächtnislegierung Nickel-Titan. „Nickel-Titan besitzt zwei Kristallgitter, die sich ineinander umwandeln können“, erklärt Paul Motzki. Das eine der beiden Kristallgitter ist kürzer als das andere. Fließt Strom, erwärmt sich der Draht, seine Kristallstruktur wandelt sich um und verkürzt sich. Wird der Strom abgeschaltet, kühlt er ab, wandelt sich um und wird lang. Die Forscher nutzen Bündel der feinen Drähte wie Muskeln für kleine technische Bauteile. „Ein Drahtbündel hat eine größere Oberfläche und gibt mehr Wärme ab, dadurch können wir es schnell zyklisch kontrahieren lassen, also mit hohen Frequenzen betreiben“, so Motzki.
Die Sensortechnik, die für all das nötig ist, liefern die Minimotoren. „Der elektrische Widerstand ändert sich, wenn die Drähte sich verformen. Mit Hilfe Künstlicher Intelligenz ordnen wir jeder noch so kleinen Verformung einen präzisen Messwert zu. Wir trainieren mit den Daten neuronale Netze. Auch bei Störeinflüssen rechnet die KI inzwischen effizient und genau“, erklärt Paul Motzki. „Auf diese Weise können wir alle sensorischen Daten ablesen, die nötig sind, um die Drahtbündel anzusteuern“, erläutert Doktorandin Susanne-Marie Kirsch, die an den smarten Implantaten forscht. Und: Dadurch lassen sich zugleich die Heilungsabläufe ablesen: Auch bei der kleinsten Veränderung am Frakturspalt liefern die Drähte andere Messwerte. An ihnen können die Mediziner erkennen, ob neues Knochengewebe wächst.
Heilungsfördernde Bewegungsabläufe
Das Team um Umfallchirurgin Ganse erforscht zudem, was den Heilungsprozess Prozess unterstützt. Ziel ist es, dass die Minimotoren präzise abgestimmte, die Heilung fördernde Bewegungsabläufe ausführen. Die Steuerung soll laut Motzki per Smartphone möglich sein. Die Stromversorgung wird durch einen Akku sichergestellt, der sich im Körper durch drahtlose Induktion auflädt.
Nächstes Ziel ist die weitere Miniaturisierung der Technologie für noch kleinere Knochen. Motzki denkt dabei an smarte Implantate für die Gesichtschirurgie, etwa für Kieferbrüche.
Prototypen auf der Hannover Messe
Das Team von Paul Motzki und Stefan Seelecke präsentiert auf der Hannover Messe (Saarland-Stand, Halle 2, B10) die Technologie und zeigt Prototypen der smarten Implantate.